Geldreform Der Storybeutel
Bei unserer Untersuchung der Sohle des riesigen Finanz- und Wirtschaftsgebäudes kriechen wir nun in einen Bereich, der sich als etwas verzwickter zeigt als die bisher untersuchten Regionen. Deswegen müssen wir etwas genauer schauen und langsam von Ecke zu Ecke kriechen und zunächst jede Ecke für sich betrachten. Dazu nutze ich ein paar modellhafte Überlegungen. 1000 Erwerbstätige leben auf einer Insel und jeder von ihnen verdient Monat für Monat 1000 GE (Geldeinheiten) die sie auch gleich wieder, also Monat für Monat ausgeben. Somit beträgt die wirtschaftliche Leistung 1000 mal 1000 GE gleich 1 Million GE! Die Wirtschaft befände sich in einem einfachen Gleichgewicht. Eines Dezembertages kommen plötzlich 100 Erwerbstätige auf die Idee, ab kommenden Januar 10% ihres Einkommens Monat für Monat beiseite zu legen, also jeweils 100 GE bei den Ausgaben zu sparen. 100 Erwerbstätige die jeweils 100 GE monatlich nicht ausgeben verursachen dadurch auf der Insel eine wirtschaftliche Minderleistung von 10 000 GE - im ersten Monat des Sparens. Diese Geld fehlt nun plötzlich im Wirtschaftskreislauf. Monat für Monat fallen weitere 10 000 GE weg, im Dezember beträgt die Minderleistung über das Jahr gesehen schon 120 000 GE, also 12% gegenüber dem Vorjahr. Das dürfte bedeuten, das etliche Erwerbstätige kaum noch oder gar kein Einkommen mehr haben. Natürlich dürften auch einige der Sparer davon betroffen sein und die müssten von ihren Ersparnissen leben. Das Gleichgewicht wäre aber gestört. Erinnern wir uns der Aussagen zum Geld im gleichnamigen Kapitel: Geld bildet eine Option auf Waren und Dienstleistungen - kurz den Produkten der realen Wirtschaft, die durch entsprechende Arbeitsleistung zustande gekommen ist. Der Tauschwert - also der Optionswert des Geldes - hängt somit von der Leistung der einzelnen Menschen im hochgradig arbeitsteiligen Wirtschaftsprozess ab. Wenn nun jemand für seinen Arbeitsanteil an dem gesamten Wertschöpfungsprozess entsprechende Optionen bekommt, diese aber nicht vollständig ausübt sondern diese hortet, so wurde faktisch mehr hergestellt als verbraucht wird. Diese Überproduktion hat natürlich Folgen. Man kann sich jetzt die verschiedensten Szenarien überlegen, wie die Menschen darauf reagieren oder reagieren müssen. Manche machen Pleite, andere müssen ihr gehortetes Geld wieder ausgeben, wieder andere fangen an aus Angst Geld zu horten, eine flugs installierte Zentralbank versucht durch Gelddrucken die Krise zu beseitigen usw. Kurz: das horten von Geld (also die Sparsamkeit - und damit der Verzicht erbrachte wirtschaftliche Leistung nachzufragen) führt zu einer Wirtschafts- und Finanzkrise, genauer zu einer Krise des Geldsystems. Dem Volksmund ist dieses Problem bekannt: So heißt es: “der Rubel muss rollen” oder “Taler, Taler, du sollst wandern von der einen Hand in die des anderen”. Das Geldsystem und somit die Wirtschaft funktioniert also nur, wenn das Geld im Umlauf ist. Um diesen Umlauf zu gewährleisten gibt es seid Alters her den “Trick” das zeitweilig überflüssige Geld - gehortetes oder zurückgelegtes Geld in den Kreislauf zurück zu holen, indem ein Zins gezahlt wird an denjenigen, der sein Geld verleiht. Der Zins hat somit die wichtige Aufgabe einer Umlaufsicherung! Er soll Geld in den Markt locken. Diejenigen, die Konsumverzicht üben oder zeitweilig auf Investitionen verzichten, leihen denjenigen das Geld, die für Investitionen Geld brauchen oder denjenigen, die ihre Konsumwünsche vorzeitig erfüllt haben wollen. Nachfrager und Anbieter der “Ware Geld” treffen aufeinander und verständigen sich über den Preis in Form des Zins. Das Geld wird somit zu einem Handelsgut wie andere Waren und Dienstleistungen. Somit ist der Preis des Geldes der Zins. Wie unter dem Kapitel Verbraucher gesehen ist der Preis nicht nur abhängig von Angebot und Nachfrage sondern auch von den Kosten, die ein Anbieter hat. Der Zins ist der Preis für geliehenes Geld - aus der Sicht des Kreditnehmers. Doch welche Kosten gibt es, wenn Geld verliehen wird? In der Regel nutzen Sparer Finanzinstitute - z.B. Banken - um ihr Geld zu verleihen. Die Bank verleiht das Geld weiter an einen Kreditnehmer. Die Zinsen, die der Kreditnehmer zahlen muss sind deutlich höher als die Zinsen die der Sparer bekommt. Für die Bank ist das Geld des Sparers gewissermaßen das Vorprodukt. Der Preis dafür sind die Zinsen für den Sparer. Des weiteren hat die Bank Betriebskosten und muss Löhne zahlen und für die Besitzer der Bank sollte sie einen Gewinn erwirtschaften und eine Dividende zahlen. Zwischen dem Sparer und dem Kreditnehmer vermittelt die Bank nicht nur, sondern sie stellt auch einen Risikopuffer da: Der Sparer ist im Allgemeinen vor Zahlungsschwierigkeiten des Kreditnehmers durch das Finanzmanagement der Bank geschützt. Sie übernimmt das Risiko und lässt sich dieses Risiko durch die Kreditnehmer durch einen entsprechenden Risikoaufschlag beim Zins bezahlen. Geld wird oft für mehrere Jahre verliehen. In der Zeit kann es an Kaufkraft verlieren (Inflation). Ein entsprechender Ausgleich kann in den Kredit zuallerletzt auch noch einkalkuliert sein. Aus dieser Rechnung lässt sich leicht ablesen, dass es ganz natürlich ist, wenn der Kreditzins spürbar höher ist als ein Guthabenzins. Für die weitere Beobachtung interessiert nun vor allem der Zinsanteil, der an den Sparer geht! Dieser Zinsanteil ist insofern etwas besonderes, weil ihm keinerlei reale wirtschaftliche Leistung gegenübersteht und dem auch keine Kosten zugrunde liegen: er bildet ein arbeitsfreies oder leistungsfreies Einkommen. Der Verbraucher zahlt alle Kosten haben wir im Kapitel Verbraucher gelesen. Somit zahlt er auch die Zinsen der Sparer. Nun ist aber der Sparer auch Verbraucher und als solcher zahlt er Zinsen (die in den Produktpreisen enthalten sind). Die Frage ist nun, zahlt er mehr Zinsen als Verbraucher oder bekommt er mehr Zinsen als Sparer? Wir stellen ja eine grundsätzliche, eine fundamentale Betrachtung unseres riesigen Finanz- und Wirtschaftssystems an. Deshalb werden im folgenden einige Momentaufnahmen gemacht um das Verhältnis zwischen Zinszahlern und Zinsempfängern zu verdeutlichen. Dabei sollte beachtet werden, dass es sich nur um den Zinsanteil handelt, der als Umlaufsicherung fungiert, also den Teil, den man bekommt ohne eine reale wirtschaftliche Leistung zu erbringen. Die anderen Zinsanteile gehen zwar in den Preis für den Verbraucher mit ein, sind aber für die Betrachtung nicht so relevant, weil sie als notwendige Produktiv kosten akzeptiert werden müssen. Nehmen wir also an auf unsrer Insel mit den 1000 Erwerbstätigen würde jeder pro Monat 1000 GE verdienen, somit 12000 GE. im Jahr. Ihren Verdienst geben sie grundsätzlich Monat für Monat auch wieder aus. Jeder Erwerbstätige besitzt zudem ein Sparkonto mit 10000 GE, das mit 3% verzinst wird. Sie bekommen also 300 GE nach einem Jahr ausgezahlt. Insgesamt werden 300 000 GE an Zinsen gezahlt. Die Kreditnehmer sind aber auch die Erwerbstätigen als wirtschaftlich tätige und die berechnen die Kreditkosten, die sie für ihr Gewerbe haben - also die Zinsen - ihren Kunden. Unter der Annahme vollkommener Gleichheit im Einkommen und bei den Ausgaben zahlt somit jeder Erwerbstätige im Laufe des Jahres 300 GE an Zinsen - die in den Produktkosten enthalten sind - und am Ende des Jahres bekommt er diese für sein Sparguthaben wieder aus - genauer zurückgezahlt. Unter dem Strich bleiben also 0 GE übrig. Die ganze Zinsrechnung stellt sich als ein Nullsummenspiel heraus. Der Zins wäre also unnötige Arbeit, eine Illusion und somit eigentlich überflüssig. Nun ist das Beispiel aber reine Fiktion. Diese angenommene totale Gleichheit beim Einkommen, Geldvermögen und beim Konsum gibt es ja nicht. Im folgenden Beispiel habe ich daher eine etwas realistischer Betrachtungsweise aufgeführt die zunächst auch wieder nur eine Momentaufnahme ist. Dazu ist die erste Tabelle zu betrachten: Von links gesehen: in der ersten Spalte sind die Erwerbstätigen in Einkommensgruppen aufgeteilt. Die an Personen größte Einkommensgruppe hat pro Person das geringste Jahreseinkommen und die kleinste Einkommensgruppe erhält das größte Jahreseinkommen (zweite Spalte). In der dritten Spalte sind die jeweiligen Einkommen der Gruppe aufgeführt und addiert zu 12.000.000 GE wirtschaftlicher Gesamtleistung. Die 1000 Erwerbstätigen sparen 1 Mio. GE (6.Spalte), allerdings mit verschiedenen Sparleistungen pro Einkommensgruppe (4. Spalte in % bzw. 5. Spalte in GE). Die unterste Einkommensgruppe hat dabei die geringste Sparleistung (sie lebt gewissermaßen von der Hand in den Mund) und die oberste Einkommensgruppe hat die größte Sparleistung pro Person. Die Spalte sieben zeigt die individuellen Konsumausgaben pro Person und Jahr, und die Konsumausgaben der ganzen Einkommensgruppe ist in Spalte acht aufgeführt. Die Summe der Konsumausgaben beträgt 11.000.000 GE. Der Zinssatz wurde mit 0,03% festgelegt und da die Summe des gesparten Geldes 1.000.000 GE (6.Spalte) beträgt ergibt sich daraus ein Summe von 30.000 GE (10.Spalte). Die 30.000 GE müssen ja irgendwo herkommen. Und natürlich kommen sie von den Konsumenten, die 11.000.000 GE ausgegeben haben, somit sind die Zinsen darin enthalten und zwar 0,0027 GE pro GE Konsumausgaben - also ein sehr, sehr geringer Anteil bei diesem Beispiel. Daraus ergibt sich der Wert in der elften Spalte, nämlich die gezahlten Zinsen der jeweiligen Konsumenten. Die zwölfte Spalte weist den Wert der Gruppe auf. In der letzten Spalte wird nun das Verhältnis zwischen den erhaltenen Zinsen zu den gezahlten Zinsen aufgezeigt. Die Tabelle kann man nun nach Einkommensgruppen analysieren. Mit gut einem drittel der Erwerbstätigen ist die unterste Einkommensgruppe die größte. Das Gruppeneinkommen ist aber nicht sehr groß und die Sparleistung ist sehr gering. Die unterste Einkommensgruppe lebt “von der Hand in den Mund”. Dementsprechend ist das Verhältnis zwischen erhaltenen Sparzinsen und gezahlten Zinsen: der Wert 0,09 bedeutet, nur 9% der gezahlten Zinsen kommen - in diesem Modell - durch Sparerträge zurück. Die größte Gruppe ist die mittlere Gruppe - die Mittelschicht. Sie hat als Gruppe auch die größte Einkommenssumme und die größte Summe an Konsumausgaben. Auch die Summe der erhaltenen Zinsen ist bei der Mittelschicht am größten. Allerdings ist das Verhältnis zwischen erhaltenen Zinsen und mit den Konsumpreisen gezahlten Zinsen kleiner als 1 pro Person. Erst bei der Gruppe der oberen Mittelschicht und bei den wenigen Reichen in unserem Beispiel, liegt das Verhältnis deutlich über eins und die zwei Reichsten bekommen fast den achtfachen Zins gegenüber dem, was sie bei ihrem Konsum bezahlen, obwohl jeder von ihnen soviel Konsumausgaben hat wie alle 350 Personen der unteren Einkommensschicht zusammen. Daraus lässt sich ablesen, das es einen Geldstrom vom größten Teil der Bevölkerung zu den wenigen Reichen gibt. Eine automatische Umverteilung von unten nach oben. Natürlich ist dies nur ein fiktives Beispiel. Die Realität sieht anders aus. Die untere Einkommensschichten hat zu meist gar keine Zinseinnahmen und das Geldvermögen der obersten Schicht ist weitaus größer. Dagegen ist das Vermögen der Mittelschicht im Durchschnitt geringer. Doch darauf kommt es bei der Betrachtung nicht an. Entscheiden ist die letzte Spalte: das Verhältnis zwischen erhaltenem Zins und gezahlten Zins: ist es größer als eins gehört man zu den Gewinnern des Geldsystems. Dieser Wert - ich nenne ihn den persönlichen Zins-Break-Even - ist, wie man sehen kann, abhängig von Zins bringendes Vermögen und im Verhältnis dazu den Ausgaben. Einen positiven Wert bekommt man nicht nur bei großen Vermögen sondern auch, wenn es einem gelingt möglichst viel zu sparen und möglichst kaum etwas auszugeben. Jemand der etwas geerbt hat und das Zins bringend verliehen hat, ansonsten auf der Straße vom Betteln lebt, dürfte ebenfalls einen positiven Wert erhalten, wenn auch das Verhalten sehr sonderlich wäre. Als Ergebnis der Betrachtung kann man an dieser Stelle festhalten, dass das Zinssystem mit dem Anteil des arbeitsfreien Einkommens grundsätzlich gesehen unsinnig ist, weil unproduktive Kosten entstehen die man als Verbraucher zahlen muss. Vom Prinzip her ist es ein Nullsummenspiel. “Sinnvoll” ist das Zinssystem allerdings dann, wenn das Geldvermögen so groß ist, dass die Zinseinnahmen größer sind als die Zinsausgaben beim Konsum. So wie es ausschaut werden diejenigen, die genügend Geld haben, automatisch immer reicher. Zu dem aufgeführten Beispiel kann man nun sagen, o.k., das ist ja nur eine Momentaufnahme. In der Realität spart man ja schon mal ein paar Jahre. Und da dürfte das mit dem Zins-Break-Even schon anders aussehen. In den folgenden sechs Tabellen habe ich entsprechende Szenarien simuliert (Die Tabellen lassen sich durch anklicken auf ein lesbares Maß vergrößern). Der Zinssatz auf der linken Seite beträgt 3%, auf der rechten Seite dagegen 6%. In der jeweils ersten Tabelle wird eine Sparleistung von 2% des monatlichen Einkommens angenommen, dann 4% und unten sind es 10%. Der Zeitraum beträgt jeweils 40 Jahre und die Zinsen werden wieder veranlagt (Zinseszins). Die entscheidende Spalte ist die Rechte. Wenn der Wert positiv wird gehört man zu den Gewinnern des Zinssystems. Allerdings muss man teilweise viele Jahre sparen. Je höher die Sparleistung ist, desto eher erreicht man einen positiven Wert. Und auch die Höhe des Zinssatzes ist dafür entscheidend - selbst wenn er in gleicher Höhe in den Preisen enthalten ist, wie in den Beispielen angenommen wird. Hier macht sich der Zinsesszinseffekt bemerkbar. Natürlich sind das alles nur Simulationen. Die Wirklichkeit sieht komplexer aus. So dürfte der durchschnittliche Zinsanteil in den Preisen höher sein als der durchschnittliche Zinssatz, den der durchschnittliche Sparer erhält. Denn die großen Geldgeber können oft als Investoren andere Konditionen erzwingen als ein durchschnittlicher Sparer. Und vergessen sollte man auch nicht, dass das Wort Zins in den aufgeführten Beispielen ein Synonym ist für alle unmittelbaren Kapitalerträge wie Dividenden und direkte Gewinnentnahmen. Auf jeden Fall kann man als Ergebnis folgende Punkte festhalten: Der zentrale Sinn des Zins liegt in seiner Eigenschaft als Umlaufsicherung und als Preis für Geld (so wie der Lohn der Preis für eine Arbeitsleistung ist). Bei genauem hinsehen entpuppt er sich aber als Illusion für die meisten Sparer. Sie zahlen drauf ohne eine wirkliche Gegenleistung dafür zu bekommen. Allenfalls als Skonto beim Konsum lässt sich der Zins verbuchen. Wer aber über den persönlichen Zins-Break-Even kommt profitiert und erhält automatisch immer mehr Geld. Die Frage, die sich nun mancher stellen mag liegt darin, ob dieses System nicht ungerecht und somit unmoralisch sei. Denn in der Realität haben viele Menschen ein Einkommen, das gerade ausreicht um “von der Hand in den Mund” zu leben. Fürs Sparen bleibt nichts übrig. Sie zahlen also das arbeitsfreie Einkommen der reichen Geldanleger. Und das kann ja kaum gerecht sein. So seltsam es klingen mag, bei einer Frage nach einem funktionierenden Geldsystem haben moralische Erwägungen zunächst nichts zu suchen! Die einzige Frage, die in diesem Zusammenhang, bzw. die grundsätzlich sinnvoll ist, ist die, ob das System auf Dauer(!) funktionieren kann. Wir fragen also nicht ob der Autofahrer verantwortungsbewusst unterwegs ist, sondern wir fragen bei unserer Untersuchung ob die Konstruktion Betriebs- und Verkehrssicher ist. Zunächst einmal beschäftigen wir uns mit der Inflation, denn diese ist bei den obigen Betrachtungen nicht berücksichtigt worden. Die Inflation - ein böses Mädchen
Der Zins
Zinsanteil nach Einkommensgruppe Zins 3% und Sparleistung 2% pro Jahr Zins 6% - Sparleistung 2% pro Jahr Zins 6%, Sparleistung 4% pro Jahr Zins 3%, Sparleistung 4% pro Jahr Zins 3%, Sparleistung 10% pro Jahr Zins 6%, Sparleistung 10% pro Jahr
Klaus Dieter Schley, 2011 - 2019
Geldreform Der Storybeutel
Bei unserer Untersuchung der Sohle des riesigen Finanz- und Wirtschaftsgebäudes kriechen wir nun in einen Bereich, der sich als etwas verzwickter zeigt als die bisher untersuchten Regionen. Deswegen müssen wir etwas genauer schauen und langsam von Ecke zu Ecke kriechen und zunächst jede Ecke für sich betrachten. Dazu nutze ich ein paar modellhafte Überlegungen. 1000 Erwerbstätige leben auf einer Insel und jeder von ihnen verdient Monat für Monat 1000 GE (Geldeinheiten) die sie auch gleich wieder, also Monat für Monat ausgeben. Somit beträgt die wirtschaftliche Leistung 1000 mal 1000 GE gleich 1 Million GE! Die Wirtschaft befände sich in einem einfachen Gleichgewicht. Eines Dezembertages kommen plötzlich 100 Erwerbstätige auf die Idee, ab kommenden Januar 10% ihres Einkommens Monat für Monat beiseite zu legen, also jeweils 100 GE bei den Ausgaben zu sparen. 100 Erwerbstätige die jeweils 100 GE monatlich nicht ausgeben verursachen dadurch auf der Insel eine wirtschaftliche Minderleistung von 10 000 GE - im ersten Monat des Sparens. Diese Geld fehlt nun plötzlich im Wirtschaftskreislauf. Monat für Monat fallen weitere 10 000 GE weg, im Dezember beträgt die Minderleistung über das Jahr gesehen schon 120 000 GE, also 12% gegenüber dem Vorjahr. Das dürfte bedeuten, das etliche Erwerbstätige kaum noch oder gar kein Einkommen mehr haben. Natürlich dürften auch einige der Sparer davon betroffen sein und die müssten von ihren Ersparnissen leben. Das Gleichgewicht wäre aber gestört. Erinnern wir uns der Aussagen zum Geld im gleichnamigen Kapitel: Geld bildet eine Option auf Waren und Dienstleistungen - kurz den Produkten der realen Wirtschaft, die durch entsprechende Arbeitsleistung zustande gekommen ist. Der Tauschwert - also der Optionswert des Geldes - hängt somit von der Leistung der einzelnen Menschen im hochgradig arbeitsteiligen Wirtschaftsprozess ab. Wenn nun jemand für seinen Arbeitsanteil an dem gesamten Wertschöpfungsprozess entsprechende Optionen bekommt, diese aber nicht vollständig ausübt sondern diese hortet, so wurde faktisch mehr hergestellt als verbraucht wird. Diese Überproduktion hat natürlich Folgen. Man kann sich jetzt die verschiedensten Szenarien überlegen, wie die Menschen darauf reagieren oder reagieren müssen. Manche machen Pleite, andere müssen ihr gehortetes Geld wieder ausgeben, wieder andere fangen an aus Angst Geld zu horten, eine flugs installierte Zentralbank versucht durch Gelddrucken die Krise zu beseitigen usw. Kurz: das horten von Geld (also die Sparsamkeit - und damit der Verzicht erbrachte wirtschaftliche Leistung nachzufragen) führt zu einer Wirtschafts- und Finanzkrise, genauer zu einer Krise des Geldsystems. Dem Volksmund ist dieses Problem bekannt: So heißt es: “der Rubel muss rollen” oder “Taler, Taler, du sollst wandern von der einen Hand in die des anderen”. Das Geldsystem und somit die Wirtschaft funktioniert also nur, wenn das Geld im Umlauf ist. Um diesen Umlauf zu gewährleisten gibt es seid Alters her den “Trick” das zeitweilig überflüssige Geld - gehortetes oder zurückgelegtes Geld in den Kreislauf zurück zu holen, indem ein Zins gezahlt wird an denjenigen, der sein Geld verleiht. Der Zins hat somit die wichtige Aufgabe einer Umlaufsicherung! Er soll Geld in den Markt locken. Diejenigen, die Konsumverzicht üben oder zeitweilig auf Investitionen verzichten, leihen denjenigen das Geld, die für Investitionen Geld brauchen oder denjenigen, die ihre Konsumwünsche vorzeitig erfüllt haben wollen. Nachfrager und Anbieter der “Ware Geld” treffen aufeinander und verständigen sich über den Preis in Form des Zins. Das Geld wird somit zu einem Handelsgut wie andere Waren und Dienstleistungen. Somit ist der Preis des Geldes der Zins. Wie unter dem Kapitel Verbraucher gesehen ist der Preis nicht nur abhängig von Angebot und Nachfrage sondern auch von den Kosten, die ein Anbieter hat. Der Zins ist der Preis für geliehenes Geld - aus der Sicht des Kreditnehmers. Doch welche Kosten gibt es, wenn Geld verliehen wird? In der Regel nutzen Sparer Finanzinstitute - z.B. Banken - um ihr Geld zu verleihen. Die Bank verleiht das Geld weiter an einen Kreditnehmer. Die Zinsen, die der Kreditnehmer zahlen muss sind deutlich höher als die Zinsen die der Sparer bekommt. Für die Bank ist das Geld des Sparers gewissermaßen das Vorprodukt. Der Preis dafür sind die Zinsen für den Sparer. Des weiteren hat die Bank Betriebskosten und muss Löhne zahlen und für die Besitzer der Bank sollte sie einen Gewinn erwirtschaften und eine Dividende zahlen. Zwischen dem Sparer und dem Kreditnehmer vermittelt die Bank nicht nur, sondern sie stellt auch einen Risikopuffer da: Der Sparer ist im Allgemeinen vor Zahlungsschwierigkeiten des Kreditnehmers durch das Finanzmanagement der Bank geschützt. Sie übernimmt das Risiko und lässt sich dieses Risiko durch die Kreditnehmer durch einen entsprechenden Risikoaufschlag beim Zins bezahlen. Geld wird oft für mehrere Jahre verliehen. In der Zeit kann es an Kaufkraft verlieren (Inflation). Ein entsprechender Ausgleich kann in den Kredit zuallerletzt auch noch einkalkuliert sein. Aus dieser Rechnung lässt sich leicht ablesen, dass es ganz natürlich ist, wenn der Kreditzins spürbar höher ist als ein Guthabenzins. Für die weitere Beobachtung interessiert nun vor allem der Zinsanteil, der an den Sparer geht! Dieser Zinsanteil ist insofern etwas besonderes, weil ihm keinerlei reale wirtschaftliche Leistung gegenübersteht und dem auch keine Kosten zugrunde liegen: er bildet ein arbeitsfreies oder leistungsfreies Einkommen. Der Verbraucher zahlt alle Kosten haben wir im Kapitel Verbraucher gelesen. Somit zahlt er auch die Zinsen der Sparer. Nun ist aber der Sparer auch Verbraucher und als solcher zahlt er Zinsen (die in den Produktpreisen enthalten sind). Die Frage ist nun, zahlt er mehr Zinsen als Verbraucher oder bekommt er mehr Zinsen als Sparer? Wir stellen ja eine grundsätzliche, eine fundamentale Betrachtung unseres riesigen Finanz- und Wirtschaftssystems an. Deshalb werden im folgenden einige Momentaufnahmen gemacht um das Verhältnis zwischen Zinszahlern und Zinsempfängern zu verdeutlichen. Dabei sollte beachtet werden, dass es sich nur um den Zinsanteil handelt, der als Umlaufsicherung fungiert, also den Teil, den man bekommt ohne eine reale wirtschaftliche Leistung zu erbringen. Die anderen Zinsanteile gehen zwar in den Preis für den Verbraucher mit ein, sind aber für die Betrachtung nicht so relevant, weil sie als notwendige Produktiv kosten akzeptiert werden müssen. Nehmen wir also an auf unsrer Insel mit den 1000 Erwerbstätigen würde jeder pro Monat 1000 GE verdienen, somit 12000 GE. im Jahr. Ihren Verdienst geben sie grundsätzlich Monat für Monat auch wieder aus. Jeder Erwerbstätige besitzt zudem ein Sparkonto mit 10000 GE, das mit 3% verzinst wird. Sie bekommen also 300 GE nach einem Jahr ausgezahlt. Insgesamt werden 300 000 GE an Zinsen gezahlt. Die Kreditnehmer sind aber auch die Erwerbstätigen als wirtschaftlich tätige und die berechnen die Kreditkosten, die sie für ihr Gewerbe haben - also die Zinsen - ihren Kunden. Unter der Annahme vollkommener Gleichheit im Einkommen und bei den Ausgaben zahlt somit jeder Erwerbstätige im Laufe des Jahres 300 GE an Zinsen - die in den Produktkosten enthalten sind - und am Ende des Jahres bekommt er diese für sein Sparguthaben wieder aus - genauer zurückgezahlt. Unter dem Strich bleiben also 0 GE übrig. Die ganze Zinsrechnung stellt sich als ein Nullsummenspiel heraus. Der Zins wäre also unnötige Arbeit, eine Illusion und somit eigentlich überflüssig. Nun ist das Beispiel aber reine Fiktion. Diese angenommene totale Gleichheit beim Einkommen, Geldvermögen und beim Konsum gibt es ja nicht. Im folgenden Beispiel habe ich daher eine etwas realistischer Betrachtungsweise aufgeführt die zunächst auch wieder nur eine Momentaufnahme ist. Dazu ist die erste Tabelle zu betrachten: Von links gesehen: in der ersten Spalte sind die Erwerbstätigen in Einkommensgruppen aufgeteilt. Die an Personen größte Einkommensgruppe hat pro Person das geringste Jahreseinkommen und die kleinste Einkommensgruppe erhält das größte Jahreseinkommen (zweite Spalte). In der dritten Spalte sind die jeweiligen Einkommen der Gruppe aufgeführt und addiert zu 12.000.000 GE wirtschaftlicher Gesamtleistung. Die 1000 Erwerbstätigen sparen 1 Mio. GE (6.Spalte), allerdings mit verschiedenen Sparleistungen pro Einkommensgruppe (4. Spalte in % bzw. 5. Spalte in GE). Die unterste Einkommensgruppe hat dabei die geringste Sparleistung (sie lebt gewissermaßen von der Hand in den Mund) und die oberste Einkommensgruppe hat die größte Sparleistung pro Person. Die Spalte sieben zeigt die individuellen Konsumausgaben pro Person und Jahr, und die Konsumausgaben der ganzen Einkommensgruppe ist in Spalte acht aufgeführt. Die Summe der Konsumausgaben beträgt 11.000.000 GE. Der Zinssatz wurde mit 0,03% festgelegt und da die Summe des gesparten Geldes 1.000.000 GE (6.Spalte) beträgt ergibt sich daraus ein Summe von 30.000 GE (10.Spalte). Die 30.000 GE müssen ja irgendwo herkommen. Und natürlich kommen sie von den Konsumenten, die 11.000.000 GE ausgegeben haben, somit sind die Zinsen darin enthalten und zwar 0,0027 GE pro GE Konsumausgaben - also ein sehr, sehr geringer Anteil bei diesem Beispiel. Daraus ergibt sich der Wert in der elften Spalte, nämlich die gezahlten Zinsen der jeweiligen Konsumenten. Die zwölfte Spalte weist den Wert der Gruppe auf. In der letzten Spalte wird nun das Verhältnis zwischen den erhaltenen Zinsen zu den gezahlten Zinsen aufgezeigt. Die Tabelle kann man nun nach Einkommensgruppen analysieren. Mit gut einem drittel der Erwerbstätigen ist die unterste Einkommensgruppe die größte. Das Gruppeneinkommen ist aber nicht sehr groß und die Sparleistung ist sehr gering. Die unterste Einkommensgruppe lebt “von der Hand in den Mund”. Dementsprechend ist das Verhältnis zwischen erhaltenen Sparzinsen und gezahlten Zinsen: der Wert 0,09 bedeutet, nur 9% der gezahlten Zinsen kommen - in diesem Modell - durch Sparerträge zurück. Die größte Gruppe ist die mittlere Gruppe - die Mittelschicht. Sie hat als Gruppe auch die größte Einkommenssumme und die größte Summe an Konsumausgaben. Auch die Summe der erhaltenen Zinsen ist bei der Mittelschicht am größten. Allerdings ist das Verhältnis zwischen erhaltenen Zinsen und mit den Konsumpreisen gezahlten Zinsen kleiner als 1 pro Person. Erst bei der Gruppe der oberen Mittelschicht und bei den wenigen Reichen in unserem Beispiel, liegt das Verhältnis deutlich über eins und die zwei Reichsten bekommen fast den achtfachen Zins gegenüber dem, was sie bei ihrem Konsum bezahlen, obwohl jeder von ihnen soviel Konsumausgaben hat wie alle 350 Personen der unteren Einkommensschicht zusammen. Daraus lässt sich ablesen, das es einen Geldstrom vom größten Teil der Bevölkerung zu den wenigen Reichen gibt. Eine automatische Umverteilung von unten nach oben. Natürlich ist dies nur ein fiktives Beispiel. Die Realität sieht anders aus. Die untere Einkommensschichten hat zu meist gar keine Zinseinnahmen und das Geldvermögen der obersten Schicht ist weitaus größer. Dagegen ist das Vermögen der Mittelschicht im Durchschnitt geringer. Doch darauf kommt es bei der Betrachtung nicht an. Entscheiden ist die letzte Spalte: das Verhältnis zwischen erhaltenem Zins und gezahlten Zins: ist es größer als eins gehört man zu den Gewinnern des Geldsystems. Dieser Wert - ich nenne ihn den persönlichen Zins-Break-Even - ist, wie man sehen kann, abhängig von Zins bringendes Vermögen und im Verhältnis dazu den Ausgaben. Einen positiven Wert bekommt man nicht nur bei großen Vermögen sondern auch, wenn es einem gelingt möglichst viel zu sparen und möglichst kaum etwas auszugeben. Jemand der etwas geerbt hat und das Zins bringend verliehen hat, ansonsten auf der Straße vom Betteln lebt, dürfte ebenfalls einen positiven Wert erhalten, wenn auch das Verhalten sehr sonderlich wäre. Als Ergebnis der Betrachtung kann man an dieser Stelle festhalten, dass das Zinssystem mit dem Anteil des arbeitsfreien Einkommens grundsätzlich gesehen unsinnig ist, weil unproduktive Kosten entstehen die man als Verbraucher zahlen muss. Vom Prinzip her ist es ein Nullsummenspiel. “Sinnvoll” ist das Zinssystem allerdings dann, wenn das Geldvermögen so groß ist, dass die Zinseinnahmen größer sind als die Zinsausgaben beim Konsum. So wie es ausschaut werden diejenigen, die genügend Geld haben, automatisch immer reicher. Zu dem aufgeführten Beispiel kann man nun sagen, o.k., das ist ja nur eine Momentaufnahme. In der Realität spart man ja schon mal ein paar Jahre. Und da dürfte das mit dem Zins- Break-Even schon anders aussehen. In den folgenden sechs Tabellen habe ich entsprechende Szenarien simuliert (Die Tabellen lassen sich durch anklicken auf ein lesbares Maß vergrößern). Der Zinssatz auf der linken Seite beträgt 3%, auf der rechten Seite dagegen 6%. In der jeweils ersten Tabelle wird eine Sparleistung von 2% des monatlichen Einkommens angenommen, dann 4% und unten sind es 10%. Der Zeitraum beträgt jeweils 40 Jahre und die Zinsen werden wieder veranlagt (Zinseszins). Die entscheidende Spalte ist die Rechte. Wenn der Wert positiv wird gehört man zu den Gewinnern des Zinssystems. Allerdings muss man teilweise viele Jahre sparen. Je höher die Sparleistung ist, desto eher erreicht man einen positiven Wert. Und auch die Höhe des Zinssatzes ist dafür entscheidend - selbst wenn er in gleicher Höhe in den Preisen enthalten ist, wie in den Beispielen angenommen wird. Hier macht sich der Zinsesszinseffekt bemerkbar. Natürlich sind das alles nur Simulationen. Die Wirklichkeit sieht komplexer aus. So dürfte der durchschnittliche Zinsanteil in den Preisen höher sein als der durchschnittliche Zinssatz, den der durchschnittliche Sparer erhält. Denn die großen Geldgeber können oft als Investoren andere Konditionen erzwingen als ein durchschnittlicher Sparer. Und vergessen sollte man auch nicht, dass das Wort Zins in den aufgeführten Beispielen ein Synonym ist für alle unmittelbaren Kapitalerträge wie Dividenden und direkte Gewinnentnahmen. Auf jeden Fall kann man als Ergebnis folgende Punkte festhalten: Der zentrale Sinn des Zins liegt in seiner Eigenschaft als Umlaufsicherung und als Preis für Geld (so wie der Lohn der Preis für eine Arbeitsleistung ist). Bei genauem hinsehen entpuppt er sich aber als Illusion für die meisten Sparer. Sie zahlen drauf ohne eine wirkliche Gegenleistung dafür zu bekommen. Allenfalls als Skonto beim Konsum lässt sich der Zins verbuchen. Wer aber über den persönlichen Zins-Break- Even kommt profitiert und erhält automatisch immer mehr Geld. Die Frage, die sich nun mancher stellen mag liegt darin, ob dieses System nicht ungerecht und somit unmoralisch sei. Denn in der Realität haben viele Menschen ein Einkommen, das gerade ausreicht um “von der Hand in den Mund” zu leben. Fürs Sparen bleibt nichts übrig. Sie zahlen also das arbeitsfreie Einkommen der reichen Geldanleger. Und das kann ja kaum gerecht sein. So seltsam es klingen mag, bei einer Frage nach einem funktionierenden Geldsystem haben moralische Erwägungen zunächst nichts zu suchen! Die einzige Frage, die in diesem Zusammenhang, bzw. die grundsätzlich sinnvoll ist, ist die, ob das System auf Dauer(!) funktionieren kann. Wir fragen also nicht ob der Autofahrer verantwortungsbewusst unterwegs ist, sondern wir fragen bei unserer Untersuchung ob die Konstruktion Betriebs- und Verkehrssicher ist. Zunächst einmal beschäftigen wir uns mit der Inflation, denn diese ist bei den obigen Betrachtungen nicht berücksichtigt worden. Die Inflation - ein böses Mädchen
Der Zins
Zinsanteil nach Einkommensgruppe Zins 3% und Sparleistung 2% pro Jahr Zins 6% - Sparleistung 2% pro Jahr Zins 6%, Sparleistung 4% pro Jahr Zins 3%, Sparleistung 4% pro Jahr Zins 3%, Sparleistung 10% pro Jahr Zins 6%, Sparleistung 10% pro Jahr
Klaus Dieter Schley, 2011 - 2022